Hallo ihr!
Warum nicht mal über ein Buch diskutieren,das uns ALS-ler besonders angeht?
Hier ist meine Kritik über "Dienstags bei Morrie" von Mitch Albom:
"Dienstags bei Morrie" aus der Sicht einer ALS-kranken
Ich gebe zu, ich habe mir dieses Buch nur gekauft, weil es in Insider-Kreisen zu einer Art Pflichtlektüre für ALS-ler geworden war. Ich bin neugierig und will mitreden können.
Schnell lese ich mich bis zur ersten Begegnung zwischen Mitch Albom und dem kranken Morrie durch, denn mich interessiert vor allem Morrie's Krankheitsbild.
An diesem ersten Dienstag ist Morrie zwar schon von zunehmender Muskelschwäche gezeichnet, kann aber noch selbst essen, sich die Nase putzen, die Brille aufsetzen....und - er kann reden! "Mein Gott," denke ich, "das liegt alles schon Jahre hinter mir!"
Morrie fällt gleich mit der Tür ins Haus und sagt Mitch, dass er sterben wird. Die Ärzte haben ihm noch etwa 2 Jahre, den üblichen Durchschnitt, gegeben. Morrie glaubt dies und stirbt dann auch in diesem Zeitraum.
Wieder einmal komme ich mir wie ein "ALS-Veteran" vor, denn ich lebe schon seit über 5 Jahren mit dieser Krankheit und ans Sterben denke ich noch lange nicht! Es ärgert mich, dass Morrie das Urteil der Ärzte so gefügig annimmt und dass er seinen Tod gleichsam "kultiviert".
Im Verlauf der weiteren Kapitel muss ich Morrie allerdings Recht geben: Er stirbt tatsächlich. Seinen langsamen Verfall zu verfolgen, ist bedrückend und schnürt mir die Kehle zu. Altbekannte Ängste steigen in mir hoch. "Wie wird es mir noch ergehen?" frage ich mich. Warum geben uns die Ärzte so selten den Astrophysiker S.Hawking zum Vorbild, der schon über 15 Jahre mit der ALS lebt?
Morrie erwähnt einmal, dass er so wie Hawking nicht leben möchte - eine Stelle im Buch, die Gesunde vielleicht überlesen, weil sie sie nicht begreifen. Morrie meint damit die vielen technischen Geräte, die Hawking ein menschenwürdiges Leben ermöglichen.
Nun, ich lebe fast so wie Hawking.
Morrie zieht es vor, im Sessel zu sitzen statt im Elektrorollstuhl, er benützt kein Kommunikationsgerät, lässt sich keine Magensonde legen und er wird nicht beatmet. Morrie Schwartz ist über 70 und hat alle Stadien eines Lebens durchleben dürfen - im Gegensatz zu mir. Er hat keine Angst vor dem Tod. Er akzeptiert die Krankheit, verabschiedet sich bewusst und stirbt bewusst.
Kann man den Tod mit 70 Jahren eher annehmen, als zum Beispiel mit 40? Eigentlich müsste es so sein und ALS ist auch nicht die einzige grausame Krankheit die es gibt. Dennoch ist an Morrie's Leben bzw. Sterben etwas Besonderes, das dem Buch eine starke Anziehungskraft verleiht.
Der Mensch Morrie ist das Besondere.
Morrie ist weise auf eine zutiefst gütige liebevoll- menschliche und schlichte Art.
Nicht erst die Krankheit hat ihn weise gemacht, sondern die Erfahrungen seines Lebens und er stirbt so, wie er gelebt hat: Bewusst und in vollen Zügen. Lehrer durch und durch gibt er diese Weisheit in seinen letzten Tagen an seinen "Schüler" Mitch weiter, der später die Tonbandaufnahmen zu diesem Buch verarbeitet. Morrie schafft es, mit zwei Sätzen das zu sagen, wofür mancher Esoteriker ein ganzes Buch braucht.
Mit dem Scharfblick dessen, der sich nur noch auf das Wesentliche konzentriert, durchschaut er die Fassaden und Lebenslügen seines Schülers Mitch und entlarvt damit zugleich uns, die Leser.
Das Wesentliche hört sich aus Morrie's Mund sehr einfach an, wie zum Beispiel einer seiner Aphorismen: Liebt einander oder geht zugrunde.
Dabei spricht Morrie nie mit erhobenem Zeigefinger, die "Lektionen" der Dienstage sind geprägt von seinem Humor und seinem tiefen Verständnis für das Menschliche. Auf diese Weise begegnet er auch seiner wachsenden Hilflosigkeit. Das völlige Fehlen jeglichen Schamgefühls, sein Vertrauen und seine innere Gelassenheit sind mir und sicher auch anderen kranken Lesern ein Vorbild und geben Mut.
Kann man "Dienstags bei Morrie" einem ALS-kranken nun empfehlen, oder nicht ?
Ja und Nein. Dieses Buch kann genauso überfordern wie helfen. Auf jeden Fall sollte der Wunsch, es zu lesen, vom Leser selbst ausgehen. Dieses Buch werde ich zwar weiter empfehlen, aber nicht verschenken. Ich selbst bin sehr froh, es gelesen zu haben, allen meinen dabei aufkommenden Ängsten zum Trotz - vielleicht habe ich auch beim Lesen einige Ängste verloren....
Danke, Morrie.
Habt ihr das Buch auch gelesen?
Was ist eure Meinung ??
Ulli
Warum nicht mal über ein Buch diskutieren,das uns ALS-ler besonders angeht?
Hier ist meine Kritik über "Dienstags bei Morrie" von Mitch Albom:
"Dienstags bei Morrie" aus der Sicht einer ALS-kranken
Ich gebe zu, ich habe mir dieses Buch nur gekauft, weil es in Insider-Kreisen zu einer Art Pflichtlektüre für ALS-ler geworden war. Ich bin neugierig und will mitreden können.
Schnell lese ich mich bis zur ersten Begegnung zwischen Mitch Albom und dem kranken Morrie durch, denn mich interessiert vor allem Morrie's Krankheitsbild.
An diesem ersten Dienstag ist Morrie zwar schon von zunehmender Muskelschwäche gezeichnet, kann aber noch selbst essen, sich die Nase putzen, die Brille aufsetzen....und - er kann reden! "Mein Gott," denke ich, "das liegt alles schon Jahre hinter mir!"
Morrie fällt gleich mit der Tür ins Haus und sagt Mitch, dass er sterben wird. Die Ärzte haben ihm noch etwa 2 Jahre, den üblichen Durchschnitt, gegeben. Morrie glaubt dies und stirbt dann auch in diesem Zeitraum.
Wieder einmal komme ich mir wie ein "ALS-Veteran" vor, denn ich lebe schon seit über 5 Jahren mit dieser Krankheit und ans Sterben denke ich noch lange nicht! Es ärgert mich, dass Morrie das Urteil der Ärzte so gefügig annimmt und dass er seinen Tod gleichsam "kultiviert".
Im Verlauf der weiteren Kapitel muss ich Morrie allerdings Recht geben: Er stirbt tatsächlich. Seinen langsamen Verfall zu verfolgen, ist bedrückend und schnürt mir die Kehle zu. Altbekannte Ängste steigen in mir hoch. "Wie wird es mir noch ergehen?" frage ich mich. Warum geben uns die Ärzte so selten den Astrophysiker S.Hawking zum Vorbild, der schon über 15 Jahre mit der ALS lebt?
Morrie erwähnt einmal, dass er so wie Hawking nicht leben möchte - eine Stelle im Buch, die Gesunde vielleicht überlesen, weil sie sie nicht begreifen. Morrie meint damit die vielen technischen Geräte, die Hawking ein menschenwürdiges Leben ermöglichen.
Nun, ich lebe fast so wie Hawking.
Morrie zieht es vor, im Sessel zu sitzen statt im Elektrorollstuhl, er benützt kein Kommunikationsgerät, lässt sich keine Magensonde legen und er wird nicht beatmet. Morrie Schwartz ist über 70 und hat alle Stadien eines Lebens durchleben dürfen - im Gegensatz zu mir. Er hat keine Angst vor dem Tod. Er akzeptiert die Krankheit, verabschiedet sich bewusst und stirbt bewusst.
Kann man den Tod mit 70 Jahren eher annehmen, als zum Beispiel mit 40? Eigentlich müsste es so sein und ALS ist auch nicht die einzige grausame Krankheit die es gibt. Dennoch ist an Morrie's Leben bzw. Sterben etwas Besonderes, das dem Buch eine starke Anziehungskraft verleiht.
Der Mensch Morrie ist das Besondere.
Morrie ist weise auf eine zutiefst gütige liebevoll- menschliche und schlichte Art.
Nicht erst die Krankheit hat ihn weise gemacht, sondern die Erfahrungen seines Lebens und er stirbt so, wie er gelebt hat: Bewusst und in vollen Zügen. Lehrer durch und durch gibt er diese Weisheit in seinen letzten Tagen an seinen "Schüler" Mitch weiter, der später die Tonbandaufnahmen zu diesem Buch verarbeitet. Morrie schafft es, mit zwei Sätzen das zu sagen, wofür mancher Esoteriker ein ganzes Buch braucht.
Mit dem Scharfblick dessen, der sich nur noch auf das Wesentliche konzentriert, durchschaut er die Fassaden und Lebenslügen seines Schülers Mitch und entlarvt damit zugleich uns, die Leser.
Das Wesentliche hört sich aus Morrie's Mund sehr einfach an, wie zum Beispiel einer seiner Aphorismen: Liebt einander oder geht zugrunde.
Dabei spricht Morrie nie mit erhobenem Zeigefinger, die "Lektionen" der Dienstage sind geprägt von seinem Humor und seinem tiefen Verständnis für das Menschliche. Auf diese Weise begegnet er auch seiner wachsenden Hilflosigkeit. Das völlige Fehlen jeglichen Schamgefühls, sein Vertrauen und seine innere Gelassenheit sind mir und sicher auch anderen kranken Lesern ein Vorbild und geben Mut.
Kann man "Dienstags bei Morrie" einem ALS-kranken nun empfehlen, oder nicht ?
Ja und Nein. Dieses Buch kann genauso überfordern wie helfen. Auf jeden Fall sollte der Wunsch, es zu lesen, vom Leser selbst ausgehen. Dieses Buch werde ich zwar weiter empfehlen, aber nicht verschenken. Ich selbst bin sehr froh, es gelesen zu haben, allen meinen dabei aufkommenden Ängsten zum Trotz - vielleicht habe ich auch beim Lesen einige Ängste verloren....
Danke, Morrie.
Habt ihr das Buch auch gelesen?
Was ist eure Meinung ??
Ulli
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