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Das schwerste Spiel seines Lebens

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    Das schwerste Spiel seines Lebens

    © stern.de 1995-2003
    Originalbericht: http://www.stern.de/wissenschaft/koe...11550&nv=ct_mt

    Das schwerste Spiel seines Lebens

    Behindertenparkplätze meidet Beata Nowak. Das wäre die Kapitulation vor Krzysztofs Krankheit. Sie parkt das schwarze Familienauto lieber ein paar Meter weiter in einer engen Lücke in der Wolfsburger Innenstadt. Drei, vier Handgriffe, und der Rollstuhl steht. Sie öffnet die Beifahrertür, packt die Waden ihres Mannes, stellt seine Füße von der Fußmatte auf den Teer. Sein Körper auf dem Autositz dreht mit. Zweimal rückt sie seine schwarzen Slipper gerade, die immer wieder haltlos nach innen schlenkern. Dann stemmt sie energisch ihren linken Fuß im rosa Flipflop auf seinen rechten Schuh und zieht ihn an den Unterarmen aus dem Auto. Wie eine schlaffe Gliederpuppe hängt der Oberkörper des großen Mannes für ein paar Sekunden über der Schulter der zierlichen Frau.

    Energisch drückt sie ihn in den Rollstuhl. Lächelt ihn an, legt seine gekrümmten Finger, die ihm nicht mehr gehorchen, liebevoll auf die Armlehne und streichelt sie gerade. Maria Magdalena, 2, klettert in ihren Buggy. Maksymilian, 8, schiebt an. Eine Familie auf dem Weg zur Eisdiele, zu Spaghetti-Eis und Erdbeer-Flip.

    Vor drei Jahren noch trugen seine Fußballerbeine Nowak mühelos Kilometer weit über den grünen Rasen. Für den VfL Wolfsburg, der ihn 1998 für zwei Millionen Mark eingekauft hatte. Eine halbe Million Euro soll er im Jahr verdient haben. Und das ganz große Geld war in Reich-weite: Karl-Heinz Rummenigge von den Münchner Bayern sah mit Wohlgefallen seine Spielmacherqualitäten, die Präzision, mit der er den Ball führte und die Gegner austanzte. Die Champions League, ein Lebenstraum des Profifußballers Krzysztof Nowak, schien spielbar nahe.

    Vor einem Jahr noch, bei der Weltmeisterschaft in Korea, hatte er den Rollstuhl nur für den Notfall im Gepäck. Wie Pflaster und Sicherheitsnadel. Da konnte er - wenn auch langsam und gestützt von seinen Freunden - noch gehen.

    Länderspiel Deutschland gegen Kanada, Anfang Juni im Stadion der Wölfe. Nowak sitzt mit Freunden in einer Loge, hoch oben im Stadion. Musical-Star Anna-Maria Kaufmann singt die Nationalhymne. "Blüh im Glanze dieses Glückes ?" Als die Spieler ins Stadion kommen, jubeln die Fans, klatschen, rufen. Nowak nicht. Er kann nicht klatschen. Der Befehl aus seinem Kopf erreicht die Hände nicht mehr. Bewegungslos liegen sie auf der grauen Bundfaltenhose. Er kann nicht rufen, anfeuern im Stakkato - die Stimme trägt nicht mehr. Immer wieder lächelt er gequält. Und sagt dennoch: "Es ist wichtig, dass ich ins Stadion gehe." Reiht mit leiser Stimme mühsam die Laute aneinander.

    Die Krankheit ist hinterhältig. Sie beginnt harmlos. Mit kalten Fingern. Mit Problemen, die Schnürsenkel zur Schleife zu binden. Mal lässt sich die Zahnpastatube erst im dritten Anlauf zuschrauben. Mal sieht die Unterschrift krakelig aus. Kleine Widrigkeiten im Alltag, aber nichts, was einen ahnen lässt, dass man unheilbar erkrankt ist. An ALS - an Amyothropher Lateralsklerose, einer Nervenkrankheit, bei der nach und nach jene Nervenzellen in Rückenmark und Gehirn sterben, die die Muskelfasern steuern.
    Energisch drückt sie ihn in den Rollstuhl. Lächelt ihn an, legt seine gekrümmten Finger, die ihm nicht mehr gehorchen, liebevoll auf die Armlehne und streichelt sie gerade. Maria Magdalena, 2, klettert in ihren Buggy. Maksymilian, 8, schiebt an. Eine Familie auf dem Weg zur Eisdiele, zu Spaghetti-Eis und Erdbeer-Flip.

    Vor drei Jahren noch trugen seine Fußballerbeine Nowak mühelos Kilometer weit über den grünen Rasen. Für den VfL Wolfsburg, der ihn 1998 für zwei Millionen Mark eingekauft hatte. Eine halbe Million Euro soll er im Jahr verdient haben. Und das ganz große Geld war in Reich-weite: Karl-Heinz Rummenigge von den Münchner Bayern sah mit Wohlgefallen seine Spielmacherqualitäten, die Präzision, mit der er den Ball führte und die Gegner austanzte. Die Champions League, ein Lebenstraum des Profifußballers Krzysztof Nowak, schien spielbar nahe.

    Vor einem Jahr noch, bei der Weltmeisterschaft in Korea, hatte er den Rollstuhl nur für den Notfall im Gepäck. Wie Pflaster und Sicherheitsnadel. Da konnte er - wenn auch langsam und gestützt von seinen Freunden - noch gehen.

    Länderspiel Deutschland gegen Kanada, Anfang Juni im Stadion der Wölfe. Nowak sitzt mit Freunden in einer Loge, hoch oben im Stadion. Musical-Star Anna-Maria Kaufmann singt die Nationalhymne. "Blüh im Glanze dieses Glückes ?" Als die Spieler ins Stadion kommen, jubeln die Fans, klatschen, rufen. Nowak nicht. Er kann nicht klatschen. Der Befehl aus seinem Kopf erreicht die Hände nicht mehr. Bewegungslos liegen sie auf der grauen Bundfaltenhose. Er kann nicht rufen, anfeuern im Stakkato - die Stimme trägt nicht mehr. Immer wieder lächelt er gequält. Und sagt dennoch: "Es ist wichtig, dass ich ins Stadion gehe." Reiht mit leiser Stimme mühsam die Laute aneinander.

    Die Krankheit ist hinterhältig. Sie beginnt harmlos. Mit kalten Fingern. Mit Problemen, die Schnürsenkel zur Schleife zu binden. Mal lässt sich die Zahnpastatube erst im dritten Anlauf zuschrauben. Mal sieht die Unterschrift krakelig aus. Kleine Widrigkeiten im Alltag, aber nichts, was einen ahnen lässt, dass man unheilbar erkrankt ist. An ALS - an Amyothropher Lateralsklerose, einer Nervenkrankheit, bei der nach und nach jene Nervenzellen in Rückenmark und Gehirn sterben, die die Muskelfasern steuern.

    Nowak hat alles gelesen, was es über ALS gibt. Er weiß, womit er rechnen muss. Nur nicht wann. Eines Tages wird er nur noch festgeschnallt mit Fallschirmgurten im Rollstuhl sitzen können. Weil die Halsmuskulatur versagt, kann er irgendwann den Kopf nicht mehr halten - wie Stephen Hawking, der große Physiker. Das Gesicht wird seine Gefühle nicht mehr widerspiegeln, weil auch dessen Muskulatur gelähmt ist. Aus einer Flasche werden sie Flüssignahrung über eine Sonde direkt in seinen Magen spülen, weil er nicht mehr schlucken kann. Und schließlich überlebt er nur noch mit Luftröhrenschnitt und Beatmungsgerät. So oder ähnlich wird es ablaufen. Die Fähigkeit, die er als nächste verlieren wird, sollte nicht ein Wunder die Krankheit stoppen, ist das Sprechen. Dann bleibt nur der Sprachcomputer. Wer gut hinhört, kann ihn verstehen - noch. Aber manchmal scheint sich die Zunge quer zu legen im Mund.

    Hunderte von Briefen mit Adressen von seriösen Ärzten und angeblichen Wunderheilern haben die Nowaks bekommen. Von Menschen, die helfen wollen. Doch wem vertrauen? "Das ist wie Lotterie spielen. Das kann man nur aus dem Bauch heraus entscheiden", sagt der Pole. Manchmal suchen die Leute auch seine Hilfe. "Weil sie glauben, dass ich als bekannter Fußballer an bessere Therapien und Ärzte komme. Sie denken, ich hätte Wunderrezepte - sie irren."

    Beata holt ein kleines Plastiktütchen aus ihrer rosa Lackhandtasche, schüttet große graue und kleine schwarze Pillen, die aussehen wie Vogelfutter, in ihre Hand und schiebt sie nach und nach Krzysztof in den Mund. Maria Magdalena greift zum Wasserglas mit Strohhalm und streckt es ihrem Papa hin.

    Nowak schluckt Rilutek, das einzige bisher zugelassene Medikament für ALS-Patienten, und Vitamin E. Er verspricht sich nicht viel davon. Besuche bei Nervenärzten hat er mittlerweile eingestellt. Seit acht Monaten fährt Beata ihn jeden Dienstag nach Posen zur Akupresssur und Massage, mittwochs wieder zurück nach Wolfsburg. Und seit drei Monaten auch noch donnerstags nach Kassel zu einem Heilpraktiker. "Es ist ein weiterer Versuch." Mehr will er dazu nicht sagen. Auch nichts zu den Kräuterpillen und Pülverchen, die er zusätzlich zu Rilutek nimmt.

    1200 Kilometer am Steuer jede Woche - diesen Stress erträgt Beata Nowak. Aber die jeweils dreitägige Trennung von ihren Kindern schmerzt. Die junge Frau wollte lange nicht akzeptieren, dass ihr Mann schwer krank ist. Auch jetzt sagt sie noch manchmal zu ihm: "Krzysztof, du bist nicht krank, du bist nur müde." Sie lacht viel, kabbelt sich auf Polnisch mit ihm, küsst ihn immer wieder liebevoll. Sie gibt ihre ganze Kraft. Wenn er es nicht hören kann, sagt Beata aber auch: "Ich denke nicht mehr weit nach vorne. Wenn man große Pläne macht und es dann am Ende nicht klappt, ist man nur enttäuscht."

    Zuweilen schleicht sich die "Warum gerade ich?"-Frage klein und gemein in Nowaks Kopf, obwohl er das partout nicht will. "Aber Gott hilft, vieles zu verstehen." Von den Ermittlungen des italienischen Staatsanwalts Raffaele Guariniello hat er gehört, will aber mit dessen Dopingverdacht nicht in Verbindung gebracht werden: "Ich war regelmäßig bei Kontrollen, und ich war immer sauber." Der 27-Jährige hat die Ärzte gefragt, ob es einen Zusammenhang gibt zwischen seiner Krankheit und der extremen körperlichen Belastung in den vergangenen Jahren. Nowak: "Sie sagten mir, das sei nicht geklärt, es gebe allerdings überproportional viele Leistungssportler, die an ALS erkrankt seien. Ich halte es für möglich, dass die hohe sportliche Belastung etwas damit zu tun hat. Aber deshalb denke ich jetzt nicht, hättest du nur nie Fußball gespielt. Ich hatte unglaublich schöne Momente in diesem Sport."

    Natürlich ist da auch die Frage, wie es weitergehen soll. Am 31. Juni vergangenen Jahres endete der Vertrag beim VfL Wolfsburg. Nowak ist kein armer Mann. Aber Pflege ist teuer. Für ihn und andere ALS-Kranke gründeten deshalb sein Verein und die Deutsche Bank eine Stiftung, die seinen Namen trägt. Zurück nach Polen will Nowak nicht. Sein Zuhause ist Wolfsburg. Mit seinen polnischen Freunden, die bei VW arbeiten, den Vereinskameraden, den Fans. Und dem Sport. Einmal in der Woche fährt er zum Training der Wolfsburger, schaut vom Rollstuhl aus zu. Bei allen Heimspielen ist er dabei. "Fußball war nicht nur mein Beruf, sondern mein Lebensinhalt", sagt er. "Seit meinem neunten Lebensjahr habe ich täglich trainiert. Ohne Fußball könnte ich nicht leben."
    Anette Lache und Ronald Frommann (Fotos)
    „Wer ruhig leben will, darf nicht sagen was er weiß und nicht glauben was er hört.“
    (Arabisches Sprichwort)
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